MuTh führt an Rheingauschule Heeresauflösung von Lysistrata als Musical auf/Letzte Inszenierung von Christine Diez
Als buntes, flottes Musical mit deftigen Wortspielen und eindeutigen, zweideutigen Szenen führte die Musik- und Theatergruppe der Rheingauschule Aristophanes "Lysistrata" auf. [...]
"Seit 20 Jahren Krieg, seit 6000 Tagen Angst - ahnt einer, was das bedeutet?" Die Frauen von Athen haben die Nase voll vom Krieg und allen voran hat die schöne Lysitrata (zu deutsch die Heeresauflöserin) eine brillante Idee, wie man den Krieg beenden könnte. Gemeinsam mit den zwei Chorführerinnen Stratyllis (Leonie Jantzer) und Pandeira (Christina Schultz) überredete Lysistrata (Svenja Studer) ihr Freundin Kleonike (Nora Reichel) und deren skythische Sklavin (Mary-Lena Stiller) die Männer mit körperlichen Liebesentzug dazu zu zwingen, den Krieg aufzugeben.
Den Frauen von Athen, Pamphile (Ann-Catherine Hüther), Rhodippe (Julia Zajaukowski-Fietz) und Telphusa (Lea Bergknecht) schlagen sie ihren Plan vor. Auch die herbeigeeilten Frauen aus den griechischen Provinzen Myrrhine (Anna Kinder), Euserke (Lisa Wolf), Sophia (Lena Kunger) und Retsine (Michèle Wörner) hören interessiert zu, was Lysistrata ausgeheckt hat. Doch die hat keine leichte Aufgabe, schließlich ist die Liebeslust das einzige, was den kriegsgebeutelten Frauen geblieben ist: "Ich ginge selbst singend durch die Hölle, wenn am Ende der Teufel scharf auf mich wäre". Und so sinnieren und besingen sie zunächst einmal die schöne Körperlust, auf die sie nicht verzichten wollen: "Ich bau doch keine Falle auf und latsch dann selbst hinein", bevor sie langsam verstehen, welche Macht ihnen mit der körperlichen Lust gegeben ist: "Die Liebe sprengt alle Ketten". Erst als Lampito, ausgerechnet die Anführerin der feindlichen Spartanerinnen (Friedrike Hörnis) dem schlauen Plan der Athenerin zustimmt und sie unterstützen will, stimmen auch die anderen mit ein: "Es ist der Krieg der uns derben läßt". Nur Nikodike, eine junge spartanische Kriegerin (Mira Ziegler) ist von dem Plan, die Männer durch Liebesentzug zu "befrieden" nicht überzeugt. Trotzdem schwören die Frauen alle gemeinsam beim Rotweinopfer "Wir opfern den Krieg für den Frieden" und besetzten kurzerhand die Akropolis mit dem Staatsschatz, denn "Das Geld ist die Ursache des Krieges".
In einem bunten, flotten Musical mit gelungenen Gesangs- und Tanzeinlagen, die das gesamte Spektrum der Musik von indischen Sitar-Klängen und eindrucksvollen Percussions-Experimenten über echte coole Rapmusik bis hin zu klassischen Liedern beinhaltete, zeigte die Musik- und Theatergruppe "MUTH" der Geisenheimer Rheingauschule eine Inszenierung der altbekannten Gesichte von Lysistrata, die mit ihrer Perfektion und der unbändigen Spiellust der jungen Darsteller weit über das übliche Schultheater hinaus geht. Der seit 30 Jahren für die MUTH zuständige Lehrerin Christine Diez war es hier wieder mal gelungen, aus den Schülern mit verblüffend modernen Ideen zu einem klassischen Stück das ganze Potential eines jungen Erwachsenen hervorzulocken. Für die Oberstudienrätin war es allerdings auch die letzte Inszenierung, kündigte sie an: "Mit dieser Produktion verabschiede ich mich von der Bühne der Rheingauschule. 30 Jahre Theaterarbeit: so viel erfahren und erlebt, so viele Menschen kennengelernt und vielen sehr nahe gekommen, manche sind als Freunde geblieben." Diez dankte allen und insbesondere ihren Wegegefährten und Kollegen Helmut Neumann und Horst Wilhelm, mit denen sie viele Produktionen gestaltete hatte.
"Selbst im Zweifeln haben wir am Ende doch immer gewußt warum wir es machen. Deshalb wünsche ich meiner geliebten alten Aula, in der ich zusammengerechnet sicher ein paar Lebens-Jahre bei Frost und Hitze, bei Tag und selbst in der Nacht verbracht habe, daß sie auch nach der MUTH Menschen zusammenführen möge, die Lust haben, sich selbst zu erfahren und gemeinsam etwas zu erschaffen. Denn die Schule wird das weiterhin brauchen", so die scheidende Regisseurin, Dramaturgin, Texterin, Kostümbildnerin, Pianistin und Produzentin vieler Theaterstücke in der Geisenheimer Rheingauschule, die auch schon mit Ehrungen und Preisen ausgezeichnet wurde.
Unter Verwendung der Übersetzungen und Textbearbeitungen von Kalle Scherfling, Erich Fried, Walter Jens und Ludwig Seeger sowie Texten von Thukydides aus "Geschichte des Peloponnesischen Krieges" und Szenen von Mira Ziegler hatte Christine Diez das Musical verfaßt, das die Geschichte von Lystrata erzählt, die einst Aristophanes erzählt haben soll.
Die Jugendjahre Aristophanes sollen in die Friedens- und Blütezeit Athens unter Perikles fallen und beides wurde beendet durch den Peloponnesischen Krieg (431 - 404 v. Chr.). Dieser Zeithintergrund und die politischen Verhältnisse in Athen, vor allem aber der jahrzehntelange Krieg mit Sparta und das Großmachtstreben Athens im Mittelmeerraum sowie die ironisch-kritische Auseinandersetzung mit den Utopien von einer besseren Weit werden für den Schriftsteller Aristophanes die Hauptthemen seiner Stücke.
Lysistratas Geschichte spielt im Athen im Jahre 411 v. Chr. im 20. Jahr des Peloponnesischen Krieges, dem erbitterten Bruderkrieg zwischen Athen und Sparta. Lysistrata, der klugen und selbstbewußten Athenerin, gelingt es tatsächlich, die die Frauen aus ganz Griechenland und aus allen verfeindeten Städten zu versammeln und davon zu überzeugen, daß ein Ende dieses Krieges nur durch ein spezifisch weibliches Druckmittel erzwungen werden kann: auf Lysistratas "Kriegslist" schwören alle ihren Eid: so lange wollen sie sich der Liebe enthalten und sich ihren Männern verweigern, bis diese es nicht mehr aushalten und den Krieg beenden. Zudem besetzen sie die Akropolis und bemächtigen sich des Staatsschatzes. Denn ohne Geld kein Krieg, schon gar nicht mit sexuell ausgehungerten Männern.
"Wir müssen uns in der Welt ja nur umsehen". Zum Beweis hatte die Schüler witzigerweise einen aktuellen Artikel der Süddeutschen Zeitung beigefügt, in der ein Artikel über die Frauen Kenias erschienen war, die vor wenigen Wochen ihre Geschlechtsgenossinnen zu einem einwöchigen Sex-Boyott aufgerufen hatten, um streitsüchtige Politiker zu versöhnen.
Und auch in der Inszenierung der Rheingauschule war den Männern die Rolle der Unterlegenen und Belächelten überlassen, die in dem Aufstand der Frauen völlig hilflos gegenüberstanden. Herrlich köstlich dargestellt in dem clownesken "Übermannung-Versuch" der beiden alten Veteranen Drakes (Sascha Lukas) und Strymodoros (Christian Weiler), die kaum die Stufen hoch zur Akropolis schafften und von den Frauen unfreiwillig gebadet wurden. Und auch der wortgewandte Athener Ratsherr Philurgos (Jens Schmidt), der gemeinsam mit den "Universal Soldiers" Niklas Arnet und Ramon Hahn und Lachas, dem Prytane aus Athen (Janosch Lipp) versuchte die Frauen zu bekämpfen, zum Aufgeben zu überreden und vielleicht auch zu verstehen, hatte keine Chance. Nicht mal sein erstklassiger Politiker-Rap, untermalt vom Surren und Murren der Frauen, fand bei den aufgebrachten Damen die gewünschte Wirkung. Die saßen, wie auch Kinesias, der Mann der Myrrhine (Niklas Arnet) und Leukippas, ein spartanischer Gesandter (Ramon Hahn) feststellen mußten, mit ihrer Kriegslist einfach am längeren Hebel: "Jeder Soldat kam einmal aus einer Frau gekrochen und unsere Söhne werden nicht mehr auf dem Kriegsschauplatz verheizt". Da blieb den Männer nur eines: nachgeben, den Krieg beenden und sich versöhnen (dargestellt von Julia Zajaczkowski-Fietz).
Maßgeblichen Anteil am großartigen Erfolg des Stückes, den das Publikum bei der ausverkauften Premiere am Dienstagabend mit Standing Ovationen dokumentierte, hatte natürlich auch wieder das Orchester mit Rebecca Stutzer und Sara Weinert an der Flöte, Tamara Korn an der Posaune, Leon Fischer an der Gitarre, David Schneider am E-Bass, der Sitar, der Singenden Säge und weiteren Percussions, Thea Göhring am E-Piano, Keyboard und Percussion, Horst Wilhelm am Klavier, Johannes Demmer am Schlagzeug und den Percussionen, die auch Nils Dohn präsentierte. Die musikalische Leitung hatte Horst Wilhelm wie bewährt übernommen, die Arrangements stammten von den Leistungs- und Grundkursen Musik der Jahrgangsstufe 13 unter der Leitung von Horst Wilhelm, die Konzeption und Realisierung der Bühnenmusik von David Schneider, Johannes Demmer und Thea Göhring. Die Lichttechnik und -gestaltung hatten Christian Born, Sebastian Götter, Florian Perabo und die Tontechnik Fabian Klein übernommen. Das wunderschöne Bühnenbild hatte der langjährige ehemalige Kunstlehrer der Rheingauschule, Hartmut Neumann, entworfen und war von Siegbert Weiler, Christian Born, Albrecht Knuth, Hartmut Neumann und Evi Knuth gebaut worden. Die Kostüme und Masken hatten Christine Diez, Georgine Graf und Gisela Schwab gemeinsam mit dem Kunstkurs der Jahrgangsstufe 12 unter der Leitung von Boris Sobotta hergestellt. Die grafische Gesamtgestaltung hatte Melissa Kissel inne, als Souffleuse half Vanessa Strieth über Textlücken hinweg und für die Maske und Inspizienz waren Mira Dohn und Vanessa Kraft verantwortlich. Als Assistentin stand der jubelnd gefeierten Regisseurin Christine Diez Vanessa Streith zur Seite. [...]
Rheingau Echo vom 7.5.2009
|