Oberstufenschülern der Rheingauschule kam Bildungspolitik bei Landtagswahl zu kurz
[...] Politik ist ein wichtiges Thema für die Oberstufenschüler an der Rheingauschule, das ist deutlich zu spüren an der spontanen Diskussionsfreude, mit der die 18- und 19-Jährigen in ihrer Pause am Pressegespräch teilnehmen. "Wir sind eine offene Schule" hatte denn auch Direktor Karl-Heinz Drollinger ohne Aufhebens der lockeren Talkrunde zugestimmt. [...]
Bei der Frage, wer denn am Sonntag gewählt hat, schnellen fast alle Hände in die Höhe, viele der Jungwähler waren binnen eines Jahres schon zum zweiten Mal an der Urne. Ob sich bei ihnen angesichts der Entwicklungen der vergangenen Monate bereits Politikverdrossenheit breit gemacht hat? "Verdrossenheit ist vielleicht das falsche Wort", meint Philipp. "Aber ich war diesmal bis zwei Tage vor der Wahl unsicher, was ich wählen sollte."
Nina hat sich darüber geärgert, dass "die Politiker es nicht eigenverantwortlich hinbekommen haben, eine Regierung zu bilden", man hätte doch aus dem Wahlergebnis etwas machen können, glaubt sie. Als Neuwahlen anstanden, habe sie gedacht: "Meine Stimme zählt gar nicht so viel".
Melanie, die in einer politischen Jugendorganisation aktiv ist, findet es "schade, dass so wenig Leute Interesse an Politik haben". Sie glaubt, dass sich viele Politiker nicht genug für die kommunalpolitischen Themen einsetzen und mehr das Gespräch mit jungen Leuten suchen sollten - nicht nur an den Infoständen kurz vor der Wahl. Eine Podiumsdiskussion mit Vertretern verschiedener Parteien wie es sie im November an der Rheingauschule zum Thema G 8 gab, sollte öfter stattfinden.
Melanies Tipp, wie die Parteien junge Menschen besser erreichen könnten: Statt mit einer "langweiligen Homepage" sollten sie Jugendliche mit peppigen Clips über das Videoportal YouTube ansprechen.
Wir setzen das Gespräch bei einem Abstecher in die Klasse 12 fort, in der Geschichtslehrer Lars Jügler unterrichtet. Radiospots mit dem Aufruf von Stars an die Bürger, wie wichtig es sei, wählen zu gehen, brauche sie nicht, sagt Saskia. Für sie wie für die meisten ihrer Mitschüler ist der Gang ins Wahllokal selbstverständlich.
Sven kritisiert, dass Bildungspolitik, speziell die Themen Studiengebühren und G 8 bei allen Politikern zu kurz gekommen sei. Eine Einschätzung, die etliche Mitschüler teilen: Auf die Belange der jungen Leute sei zu wenig eingegangen worden. "Die Politiker sollten nicht immer nur an die nächste Legislaturperiode denken, sondern auch unpopuläre Entscheidungen treffen", wirft Hendrik ein. "Die Agenda 2010 fängt jetzt erst an zu greifen." Weiter in die Zukunft denken, das sei auch bei der Energiepolitik enorm wichtig, pflichtet Ulf bei.
Unter dem Strich sehen die meisten Schüler das Ergebnis der Landtagswahl 2009 einerseits als "Abstrafung für Herrn Koch", dessen "Gesicht in der hessischen Politik einfach mal abgeschafft werden sollte". Andererseits als Quittung für Andrea Ypsilantis Wortbruch und den Umgang mit den vier Abweichlern.
"Dass die großen Volksparteien immer weniger Zulauf haben und die kleinen Parteien Zuwächse, ist eine interessante Entwicklung", lautet Melanies Fazit. Schließlich wird der Wunsch laut, dass die Lehrer öfter mal "eine kurze Auszeit vom Lehrplan" genehmigen, um aktuelle Entwicklungen wie es sie vor der Landtagswahl gab, im Unterricht aufzugreifen.
Was Schulleiter Drollinger auf den Nägeln brennt: "Ich erwarte von den Politikern, dass Bildungspolitik das Thema Nummer eins wird." Konkret erhofft er sich, dass an seinem Gymnasium "die Lehrerversorgung insgesamt besser wird und wir mehr qualifizierte Junglehrer für Latein, Informatik, Naturwissenschaften und Fremdsprachen bekommen". Wichtig sei es, "endlich die Klassengrößen von 33, 34 Schülern runterzufahren". Auch eine bessere Personalausstattung etwa mit Sozialpädagogen sei für die Ganztagsangebote an der Rheingauschule "unbedingt erforderlich".
Wiesbadener Tagblatt vom 21.1.2009
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