Seit einigen Jahren ist der Besuch von und die Arbeit an „verunsichernden Orten“ fest im Schulleben der Rheingauschule verankert. Unsere diesjährige Fahrt fand vom 09.-17.10. statt und führte uns nach Krakau und Oswiecim /Auschwitz. 22 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe Q1 meldeten sich freiwillig für diese Fahrt an. Wie in den Jahren zuvor starteten wir in Krakau, um mit unserer Spurensuche zum jüdischen Leben in Polen zu beginnen. Der Besuch des Museums „Schindlers Fabrik“ bot einen guten Einstieg in die polnisch-deutsch-jüdische Geschichte der Stadt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten zudem die Gelegenheit in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz mit einem der nur noch wenigen Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz zu sprechen. Eine Chance, die sich folgenden Gruppen wohl nicht mehr bieten wird. „Verunsichernd“ war die Fahrt für die Teilnehmer dann in einem doppelten Sinne, zum einen aufgrund der Unvorstellbarkeit der Vernichtungsmaschinerie, zum anderen aufgrund der Tatsache, dass Auschwitz auch eine Touristenattraktion darstellt. (Martin Schunk)
Der folgende Bericht wurde von der Teilnehmerin Angelina Kraus verfasst.
Bericht über Auschwitz
Tag 1 - Oswiecim
Nach unserem zwei tägigen Aufenthalt in Krakau fuhren wir nach Oswiecim, Polen.
Durch lange informative Gespräche wurden wir bereits auf die bevorstehenden Ereignisse vorbereitet, aber alleine die zwei stündige Fahrt in einem alten wackeligen Zug sorgt für ein unwohles Gefühl.
Nachdem wir in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte unsere Sachen abgelegt hatten, begann die Führung durch die 40.000 Einwohner Stadt und wir besuchten die noch erhaltene Synagoge, um etwas über die damals dort lebende jüdische Bevölkerung, die religiösen Traditionen und das einst gut funktionierende Zusammenleben mit den christlichen Einwohnern zu erfahren.
Besonders interessant : Oswiecim kommt von dem jiddischen Wort ospizim, welches Gast bedeutet. Während der deutschen Besatzung wurde der Ort wieder in Auschwitz umbenannt.
Am Abend wieder in der IJBS angekommen planten wir den nächsten Tag und bereiten uns damit auf die erste Führung vor.
Tag 2 - Stammlager
Auschwitz besteht aus drei Lagern: dem Stammlager, dem Vernichtungslager Birkenau und dem Außenlager Monowitz.
Die erste Gänsehaut bekamen wir beim Hindurchgehen durch das Tor mit der Aufschrift “ Arbeit macht frei” welches von allen Seiten mit Stacheldraht abgegrenzt, der einzige Eingang in das Lager ist. Einen Ausgang gibt es nicht.
Die Baracken des Stammlagers wurden zu Länderausstellungen und zu Ausstellungen, in denen das Leben und Sterben der Häftlinge gezeigt wird, umfunktioniert. Man findet dort Fotos, Koffer, Kleidung, Dokumente, Karten und Modelle, die die Zustände im damaligen Lager darstellen. Am erschreckendsten: ein Raum mit Tonnen von Haaren.
Über Kopfhörer nahmen wir die Worte des Guids auf und verinnerlichen diese so sehr, dass keiner aus unserer Gruppe während der vier stündigen Führung auch nur ein Wort sagt.
Scham, Betroffenheit, Wut und Trauer waren Gefühle, die sich bei uns während der Führung abwechselten und wir fragten uns, wie Menschen zu solchen Grausamkeiten fähig sein konnten. Die Schicksale von einzelnen Menschen sind so unvorstellbar und waren doch real.
Unser vorletzter Stopp an diesem Tag war die von Israel konzipierte Shoah-Austellung, die seit zwei Jahren besteht. Für viele Teilnehmer der emotionalste Moment dieser Reise.
Der letzte Halt war das Krematorium, ein Ort für den es für mich keine Worte gibt - ein Ort des Schweigens und des Gedenkens an die Opfer.
Die gemeinsamen Treffen am Abend halfen jedem, die Eindrücke des Tages zu verarbeiten.
Tag 3 - Birkenau
Das Ausmaß ist unvorstellbar. Um dieses Lager zu bauen, mussten sechs Dörfer umgesiedelt werden. In das Lager wurden 1944 Schienen fast bis vor die Gaskammern gebaut, um die Menschen aus den großen Transporten aus Ungarn möglichst effektiv töten zu können.
Die meisten der Baracken und alle Krematorien wurden kurz vor der Ankunft der Roten Armee gesprengt. Zwei davon durch einen Aufstand der Häftlinge.
In diesem Lager gibt es viel weniger Bilder und Veranschaulichungen. Man kommt sich nicht vor wie in einem Museum, sondern wie auf dem kältesten Platz der Welt.
Wir besichtigten an diesem Tag Männer, Frauen und Kinder Baracken, das Denkmal und die sogenannte Sauna, in der die Häftlinge ihre Sachen abgeben mussten und die Häftlingskleidung bekamen. Dort befindet sich heute eine Ausstellung der übrig gebliebenen Bilder der ermordeten Juden.
Tag 4 - Zeitzeugengespräch
An unserem viertem Tag in Oswiecim bekamen wir die Möglichkeit mit einem überlebenden Häftling zu sprechen, der uns über seine Erlebnisse berichtete. Herr Dlugoboski ist 89 Jahre alt und wurde als polnischer politischer Gegner des NS mit 16 Jahren inhaftiert. Er überlebte das Lager durch seine Arbeit in der Sauna und konnte auf dem sogenannten Todesmarsch vor dem Eintreffen der Roten Armee fliehen. Herr Dlugoboski ist ein beeindruckender herzlicher Mann, dem wir sehr dankbar für seine Offenheit sind, die uns einen weiteren Einblick in die vergangene Zeit ermöglichte.
Tage 5 und 6 Reflexionen
Die letzten zwei Tage in der IJBS verliefen im Rahmen der Gruppe, indem wir mit verschiedenen Workouts und Präsentationen weitere Informationen über den Nationalsozialismus erhielten.
Ich glaube, ich spreche hiermit für alle Teilnehmer der Reise, wenn ich sage, dass uns diese Fahrt für ein Leben lang geprägt hat und wir gelernt haben, dass nationalsozialistische Vernarrtheit die Menschlichkeit ausblendet und das keiner das Recht hat sich über jemand andern zu stellen.
Wir hoffen auf eine Zukunft in der Akzeptanz und Gerechtigkeit siegen und eine kulturelle Vielfalt angenommen wird. Wir bedanken uns für die Möglichkeit so eine Gedenkstättenfahrt machen zu können und dafür, dass in jedem von uns ein Verständnis für den anders Denkenden geweckt wurde.
Angelina Kraus, November 2015 |