Gedenkstättenfahrt nach Krakau und Auschwitz 2017 PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von: Nell Jakobi / Martin Schunk   

Unser erster Besuch im Konzentrationslager in Auschwitz, genauer gesagt im Stammlager steht kurz bevor. Die Stimmung ist irgendwie angespannt, bedrückt. Wir müssen ein kleines Stück von der IJBS (Internationale Jugendbegegnungsstätte) aus laufen. Manche nutzen den Weg um ihre Angst vor dem Bevorstehenden zu unterdrücken und reden über andere, belanglose Dinge. Trotzdem gelten die meisten Gespräche und Gedanken dem Konzentrationslager. „Was wird uns erwarten? Werden wir weinen müssen? Wie wird man uns als Deutschen begegnen? Warst du schon mal in einem KZ?“ und noch viele weitere Fragen werden thematisiert. Schon im Vorfeld machten sich viele von uns Gedanken. „Lange Hose und Schultern bedecken? Was zieht man an einem solchen Ort an?“

Wir kommen an den Eingang. Uns erwarten große Reisebusse voller Touristen. Ich ärgere mich. Das hier ist doch keine Touristenattraktion. Es hat sich eine lange Schlange gebildet. Als Gruppe müssen wir nicht warten, sondern dürfen einen Seiteneingang benutzen. Wir sehen zum ersten Mal die Frau, welche uns nun zwei Tage begleiten wird. Im Stammlager und in Auschwitz-Birkenau. Sie sieht ganz sympathisch aus. Wir werden mit Headsets ausgestattet, um sie besser verstehen zu können. Zusammen gehen wir durch das bekannte Tor mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“. Es wirkt viel kleiner als auf den zahlreichen Fotos. Ich ärgere mich schon wieder. Diesmal über mich selbst. Ich wollte keine Erwartungshaltung haben. Die Frau fängt an zu erzählen. Sie ist Polin. Sie spricht von „unseren“ Intellektuellen, „unseren“ Ärzten, meint damit polnische Häftlinge und ich fühle mich ausgegrenzt. Vielleicht auch ein bisschen persönlich angegriffen. Ich bin kein direkter Täter, warum fühle ich mich dennoch schuldig? Ich schäme mich, deutsch zu sprechen. Wir gehen auf die Baracken zu. Diese Häuser sehen nicht grausam aus. Insgesamt wirkt alles ziemlich surreal. Die Sonne scheint. Warum regnet es nicht? Müsste es nicht
grau sein, kalt. Das Graß kommt mir zu grün vor, die Bäume zu kräftig. Ich bin wieder verärgert. Diesmal wegen dem Wetter.

Die Frau redet weiter. Sie erzählt uns die Geschichte dieses Ortes. Wir sind bedrückt, aber ganz erreichen tut es uns vermutlich noch nicht. Ich schaue mich um. Ich sehe betretene Gesichter. Dann gehen wir weiter. Gehen in eine der Baracken. Bilder, wie man sie aus Dokumentationen kennt, hängen an der Wand. Wir gehen in den ersten Stock. Es folgen materialistische Beweise, die uns den Massenmord vor Augen führen, die uns alle fassungslos machen. Koffer, Haarbürsten, Rasierpinsel, Frauenhaare. Einige wenige müssen weinen. Aber es ist ganz still. Ich fasse nach der Hand meiner Freundin. Mir wird ganz komisch. Und mir wird kalt. Ich möchte raus. Wieder an der Luft machen wir eine kurze Pause. Wir setzen uns auf die Steinstufen der gegenüberliegenden
Baracke. Fünf Minuten Stille. Ich sehe die Betroffenheit in den Gesichtern meiner Mitschüler. Dann sehe ich nach unten. Ich bin schon wieder wütend. Auf die Täter, auf alle die nur zugeschaut haben, sich nicht getraut haben etwas zu sagen und auf mich, weil es immer noch so viel schreckliches auf dieser Welt gibt, gegen den ich nichts unternehme. Bewegungslose Mine. Die Führung geht weiter. Wir kommen zu einer der Gaskammern. Die Frau redet nüchtern. Ganz leise, aber nüchtern. Ich frage mich ob es mir nur so vorkommt, an ihren Sprachkenntnissen liegt, oder ob man sich nach vielen Führungen einmal an diesen Ort gewöhnen kann. - Wir verabschieden uns. Zurück wird wieder gelaufen. Es ist ja nicht lange. Ich habe nicht das Bedürfnis zu reden, möchte lieber schweigen.

Ich bin verwundert wie schnell man im Verdrängen ist. Schon beim Abendessen wird wieder über andere Dinge geredet. Wir schauen noch eine Dokumentation nach dem Essen. Sie geht über Ruth Klüger, die mit ihren Wörtern, aufgestellten Thesen viel zum verarbeiten hinterlässt, aber auch dabei hilft. Hinterher sitzen wir alle noch zusammen. Draußen auf der Terrasse, es kühlt erst langsam ab. Nun geht es ausschließlich um den Film und Auschwitz. Ich beteilige mich nicht wirklich am Gespräch, höre lieber zu. Langsam löst sich die Gruppe auf. Ich realisiere erst später, als ich versuche einzuschlafen, was ich heute alles gesehen habe. Ich habe das Bedürfnis meinen Eltern zu schreiben das es mir gut geht. Sie schlafen schon. Ich hinterlasse ihnen dennoch eine
Nachricht bevor ich versuche einzuschlafen.

 

Gedenkstättenfahrt nach Krakau und Oswiecim/Auschwitz vom 16.06.-24.06.2017
IMG-Synagoge OswiecimNeben dem Erlebnisbericht einer Schülerin zur diesjährigen Gedenkstättenfahrt nach Krakau und Oswiecim/Auschwitz wollen wir Ihnen auch einen Einblick in konzeptionelle Grundlagen und eine Übersicht über das Programm bieten.

Im Vorfeld fanden eine gemeinsame Schüler-Eltern Infoveranstaltung sowie ein Vorbereitungsnachmittag für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer statt. Dieses beinhaltete eine inhaltliche Einführung in die Thematik und eine Einführung in die polnische Landeskunde. Die Schülerinnen und Schüler reflektierten ihre Erwartungen und eventuelle Befürchtungen. Hierbei wurde auch die Dokumentation der Fahrt in Grundzügen geplant. Mit verschiedenen Übungen wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Aspekten von Gruppenzugehörigkeiten und Diskriminierung konfrontiert.

pdf-iconProgramm der diesjährigen Fahrt

Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sollte durch diese Fahrt eine individuelle Auseinandersetzung jenseits von verordneter Betroffenheit ermöglicht werden. Als äußerst spannend erwies sich eine Diskussion über den „Gedenkstättentourismus“ und die „Holocaustindustrie“, den unsere Gruppe als mehr als befremdlich wahrnahm.

Mit großer Mehrheit wurde das Zeitzeugengespräch als besonders beeindruckend wahrgenommen, auch die Räumlichkeiten und das Essen in der Jugendbegegnungsstätte wurden von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern als sehr positiv aufgenommen. Bot sich hierdurch doch der Raum zum Nachdenken und Reden über das Erlebte. Die Länderausstellungen von Israel und Ungarn wirkten bei allen Mitgliedern der Gruppe noch lange nach.

Für uns als Leitungsteam waren besonders die vielen kleinen Gespräche am Rande spannend und interessant, da sie von einer ehrlichen Bereitschaft der Jugendlichen zeugen sich mit der Verunsicherung, die durch die Taten und den Ort der Tat entsteht, auseinanderzusetzen.

Eine große finanzielle Unterstützung der Fahrt erfolgte durch Mittel der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung und der Bethe-Stiftung/Stiftung „Erinnern Ermöglichen“. Hierfür im Namen aller aktuellen und auch zukünftigen Teilnehmenden ein herzliches Dankeschön!

Mit Blick auf den zunehmenden „Massentourismus“ nach Auschwitz ist es sehr begrüßenswert, dass die Stiftung „Erinnern Ermöglichen“ auch Fahrten zu anderen „verunsichernden Orten“ in Polen finanziell unterstützt.

Im nächsten Jahr wird die Gedenkstättenfahrt der Rheingauschule nach Weimar/Buchenwald stattfinden. Für 2019 ist eine Fahrt nach Lublin und Majdanek geplant.

pdf-iconKonzept "Gedenkstättenfahrten der Rheingauschule"

link-iconweitere Informationen

Zuletzt aktualisiert am Montag, den 23. Oktober 2017 um 13:42 Uhr