Start Archiv - Rund um die Schule Feierlichkeiten des Studienseminars Wiesbaden zum Referendariatsabschluss
Feierlichkeiten des Studienseminars Wiesbaden zum Referendariatsabschluss PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von: Klaus Hilger   
Donnerstag, den 01. August 2013 um 13:29 Uhr

Am Do., 4.7.2013 fanden in der Aula der Rheingauschule die diesjährigen Feierlichkeiten zum Referendariatsabschluss des Studienseminars Wiesbaden statt.

Die Bilder geben einen Eindruck von der Veranstaltung.

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Herr Ref. Christoph Schäfer hielt die folgende Abschlussrede:

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„Man braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen“, heißt ein afrikanisches Sprichwort. Auf die Referendarsausbildung trifft das nur begrenzt zu. Denn damit aus einem mehr oder weniger frisch aus der Uni entlassenen Menschen, behaftet mit Examensarbeits-Expertenwissen zu Themen wie „kontinentalgermanische Winzerterminologie“ oder „Kommas bei Kleist“ ein Lehrer wird – dafür reicht offenbar ein Dorf nicht aus. Eine ganze Kleinstadt ist in den Lehrerbildungsprozess eingebunden. Diese Stadt möchte ich aus der Stimmung einer „kritischen Dankbarkeit“ heraus Revue passieren lassen.

Wie eine kleine Stadt regiert werden soll, darüber hat sich bereits Aristoteles den Kopf zerbrochen. Mittelmeerweit trug er über 150 Polis-Verfassungen zusammen. Leider ist diese Sammlung nicht erhalten. Sie wäre sicher eine schöne Ergänzung zu der kargen Anzahl an Papieren, mit denen Auszubildende und Ausbilder im Referendariatsbetrieb abgespeist werden...

Zum Glück ist wenigstens sein Fazit aus dem Studium der Verfassungs-Flut erhalten: Eine „gemäßigte Demokratie“ sei die beste Form, raunt er uns aus 2000-Jahren Abstand zu. Offenbar ist im Laufe der Zeit bei einem der beiden Begriffe ein „Stille-Post“-Effekt eingetreten: Bei der Weitergabe des Philosophenwortes von Mund zu Ohr verballhornte sich der Ausdruck „Demokratie“ immer mehr hin zu „Bürokratie“, bis der Rat des Philosophen in der Lehrerausbildung ankam. Denn die Fülle der Verordnungen und Kompetenzraster, ganz zu schweigen von ihren fast monatlichen Reform-Fassungen, lässt einen fast darüber dankbar sein, dass immerhin noch die Dicke der bei der UB-Nachbesprechung zum Notieren verwendeten Kugelschreiber noch nicht zertifiziert ist. Unsere nachfolgenden LiV-Generationen werden eine entsprechende Vorschrift sicher noch erleben – und zwar in einer kompetenzdifferenzierten Abstufung in Form einer Links- und einer Rechtshänder-Variante…

Ich hoffe, ihr Mitreferendare empfindet es nicht als zu schönfärberisch, wenn ich jetzt meinen Eindruck bezüglich des zweiten Philosophenwortes wiedergebe, der auf meinen Erfahrungen in Personalrat und Steuergruppe beruht: Zumindest hier, am Studienseminar Wiesbaden, geriet das Wort „gemäßigt“ zum Glück nicht in Vergessenheit: Ich möchte mich für nicht wenige Momente im Umgang mit Seminarleitung und Ausbildern bedanken, die von Menschlichkeit und Pragmatismus geprägt waren. Hier wird die Regierungsform einer den Rahmenbedingungen zum Trotz möglichst „gemäßigten Bürokratie“ praktiziert. Das ist angesichts der grundsätzlich für LiV trotz aller heute zu feiernden Erfolge schwierigen Lebenswelt „Referendariat“ nicht selbstverständlich.

Natürlich ist auch das Seminar Wiesbaden keine Insel der Seligen. Ich möchte nicht verschweigen, dass ich auch von Fällen weiß, in denen Mit-Referendare Ungerechtigkeit erlebt und Ohnmacht empfunden haben. Aber ich habe praktisch ausnahmslos erlebt, dass diese Fälle auch Seminarleitung bzw. Ausbilder-Vertreter im Personalrat nicht kalt lassen.Ein ermutigendes Gefühl - auch wenn nicht immer befriedigende Lösungen gefunden werden konnten. Ich würde mir sehr wünschen, wenn die dank der Seminarleitung wirklich besondere kommunikative Atmosphäre dieses Seminars zu einer weiteren Reduktion dieser Fälle führen könnte. Gerade auch angesichts dessen, dass die Ausbildung durch die sich verschlechternden Berufsperspektiven sicher noch schwieriger wird.

Aber die Referendariats-Kleinstadt besteht nicht nur aus Seminarleitung und Ausbildern. Viele andere sind eingebunden: Ich möchte an erster Stelle diejenigen Stadtbewohner erwähnen, deren Arbeitsbedingungen man vielleicht so umschreiben könnte: Sie bekommen kein Mehl, sie bekommen keinen Ofen, aber auf ihrer Zunft-Urkunde steht, dass sie Bäcker sind und sie gefälligst Brot backen sollen. Die Rede ist von den Mentoren. Ich selbst habe mit meinen Mentoren sehr viel Glück gehabt, sie haben sich intensiv um mich gekümmert, obwohl sie laut Stellenzuschnitt – siehe das Bild der fehlenden Arbeitsgerätschaften –praktisch keine Ressourcen dafür haben. Ich weiß, dass das Seminar und viele Schulleitungen hier zumindest Erleichterungen dieser strukturell absurden Situation anstreben. Es wäre sehr zu wünschen, wenn diese eminent wichtigen Kleinstadt-Bewohner in Zukunft ihre Tätigkeit unter besseren Rahmenbedingungen ausüben könnten.

Dann gibt es noch die Kleinstadt-Bewohner, die weder auf einem Gehaltszettel stehen noch offiziell Ausbilder sind – und die uns dennoch ausbilden: die Schüler, die Eltern, die Kolleginnen und Kollegen im Lehrerzimmer, die Schulsekretärinnen und Hausmeister und undund. Von unglaublich vielen Menschen haben wir in den vergangenen Monaten erfahren, was den mal faszinierend überregulierten und dann wieder faszinierend anarchischen Kosmos „Schule“ im Alltag ausmacht. Hier hat sicher jeder von uns entsprechende Gesprächsfetzen, Situations-Skizzen im Kopf.

Zu den Kleinstadt-Bewohnern zählen auch Menschen aus unserer Erinnerung: Beim Hospitieren am Referendariats-Anfang gingen mir immer wiederBilder aus meiner eigenen Schulzeit durch den Kopf: Wie knisternd und belastend beispielsweise der Moment ist, an dem die Hefte einer korrigierten Klassenarbeit zurückgegeben werden. Wie tapfer, gleichgültig, begeistert, frustriert Kinder in einem solchen Moment reagieren. Was man in einem solchen Moment alles tun müsste, um all diesen Kindern gerecht zu werden. Und wie viel Gutes man bereits bewirken kann, indem man sich zumindest ein wenig bemüht; bei der einen oder dem anderen genauer hinsieht, ein Gespräch nach Schluss der Stunde sucht. Gerade diese Erinnerungen haben mir immer wieder vor Augen geführt, dass wir trotz abgeschlossenem Referendariat in diesem Beruf wohl niemals „fertig gelernt“ haben…

Zwei Arten von Kleinstadt-Bewohnern möchte ich abschließend noch erwähnen: Ich glaube, fast alle LiV haben von einer bestimmten Referendariats-Begleiter-Gruppe sehr viel gelernt, obwohl wir sie zum Glück nur recht selten zu Gesicht bekommen haben: die Auszubildenden der dem Studienseminar benachbarten Politessen-Schule.Jeder von uns zuckt inzwischen automatisch zwei Stunden, nachdem er sein Auto irgendwo geparkt hat, zusammen und murmelt „Ich muss schnell umparken.“Diesen Rhythmus und diese Tätigkeit haben wir tief verinnerlicht. Ich habe mich schon ertappt, dass ich auch auf einsamen Waldwegen beim Parken für die Pilzsuche reflexartig nach der Parkscheibe greife. Mich dann im ersten Moment über mich selbst gruselte. Im zweiten Moment jedoch beglückt über meinen internalisierten Kompetenzerwerb ganz im Weinertschen Sinne war: Denn in der Anforderungssituation „Parken“ habe ich eben nicht nur den kognitiven, sondern auch den motivationalen und – mein Lieblingswort im Referendariat –volitionalen Aspekt ausagiert. Viele hier wissen, wovon ich spreche. Wer es nicht weiß, soll sich nicht grämen. Man kann, offen gesagt, auch ohne diese Kenntnis ein glückliches Leben führen – wenn man nicht gerade den Plan hegt, ein Referendariat zu absolvieren.

 

Womit ich last but not least die wichtigsten Bewohner der eingangs erwähnten Kleinstadt thematisieren möchte: die Angehörigen der LiV. Also: Freunde, Partner, Kinder, Eltern. Sie alle – einige von ihnen sind heute hier dabei – haben ganz besonders dazu beigetragen, dass wir diesen Lebensabschnitt be- und überstanden haben. Sie alle wissen sicher, auf was ich anspiele: Referendare sind ja oft keine normalen Menschen. Es sei denn Sie finden es normal, dass jemand stundenlang mit umwölkten Gesicht über eine heitere Impulsfrage nachgrübelt, dass jemand gleichzeitig überehrgeizig, lustlos, prahlerisch, selbstmitleidig, völlig schweigsam, übertrieben redselig – und vor allem sehr, sehr, sehr monothematisch veranlagt ist („Referendariat hier, Referendariat da“). Ganz herzlichen Dank für Ihre Geduld. Sie alle haben es erfahren: Man macht nicht Referendariat. Man hat Referendariat. So wie man „Grippe“ oder „Rücken“ hat. Tja: Wir alle hatten Referendariat. Jetzt ist es rum. Und wir haben Ferien.

Ich möchte mich noch einmal bei allen herzlich bedanken, die uns auf diesem Weg begleitet haben – und auch euch Mit-LiV Danke sagen für viele schöne Momente der Kollegialität und Solidarität. Und uns allen einen schönen Start in das „Leben danach“ wünschen.

Vielen Dank.