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Studienfahrt nach Theresienstadt PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von: Leonie Au   
Donnerstag, den 21. Juni 2012 um 09:15 Uhr

Vom 2. bis 6. Mai 2012 besuchten einige Schüler der Rheingauschule im Rahmen der Seminarreihe „Stätten deutscher Geschichte“ das ehemalige jüdische Ghetto Theresienstadt oder „Terezín“ in Tschechien. Geleitet wurde dieses Seminar von dem Soziologen Dr. Reiner Hartel, sowie der Politologin Sibylle Nau. Um nun einen Eindruck zu gewähren, was uns diese paar Tage an Erfahrungen und Erkenntnissen bereitet wurde, möchte ich unser vielfältiges Programm einmal zusammenfassen.

Als wir am 02. Mai in der Gemeinde Theresienstadt eintrafen, waren wir uns dessen nicht einmal bewusst.

Die erwarteten heruntergekommenen, brüchigen Gebäude, die Trostlosigkeit und der Platzmangel waren weit entfernt von dem was sich nun um uns herum befand. Erst als uns Dr. Hartel darauf hinwies, dass wir angekommen seien, wurde uns klar, dass „das“ Theresienstadt ist.  Nun, um einmal deutlich zu machen, was für ein Bild sich uns bot: vor uns lag eine überschauliche kleine Stadt, große Häuser und Straßen, helle Farben, gepflegte Parks. Wenn man an dem einen Ende der Stadt stand, war es ein Leichtes von dort aus das andere Ende auch zu sehen. Alles in allem ein netter Anblick. Doch es steckte mehr dahinter.

Die ehemalige Garnisonsstadt Terezín wurde 1941 zum „Judenghetto“ erklärt. Für 5.000 Menschen war diese Stadt gemacht worden. Doch lebten hier allein 58.000 Juden zur gleichen Zeit.  Insgesamt wohnten von 1941 bis zur Befreiung der Stadt 1945 140.000 Juden in Theresienstadt.  38.000 Menschen starben dort. 90.000 wurden in Vernichtungslagern getötet. Und wir wohnten mitten drin, nicht weit entfernt vom ehemaligen Mädchenheim, einen Katzensprung entfernt von den Gleisen und der Schleuse. Spätere Besuche in Museen ließen uns einen Einblick in die Zustände gewähren, unter welchem die Einwohner dort leben mussten. Bis zu 80 Menschen hatten in einem einzigen Raum ihren Schlafplatz.

Am 2. Tag unseres Seminars bekamen wir eine Führung durch die „kleine Festung“, das ehemalige Gestapo Gefängnis. Nach dem Gang durch das Tor mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ fanden wir uns auch bald in der Zelle wieder, in welcher der Mörder Franz Ferdinands den Tod fand. Die Zelle war komplett dunkel und eiskalt. Nur einmal gelang es dort zwei Insassen auszubrechen. Das war am 06. Dezember 1943. Allerdings wurden dafür alle anderen Häftlinge bestraft, sodass sich ein derartiger Vorfall nicht wiederholte. Am 10. Mai 1945 wurde die kleine Festung von der Roten Armee befreit.

Am 3. Tag unserer Reise fuhren wir zu dem kleinen Örtchen Lidice. Jedenfalls nahmen wir an, dort ein Dorf oder Ähnliches vorzufinden, oder wenigstens ein paar Trümmern davon. Doch wir sahen nichts. Nur Wiese.  Nach dem Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich, wurde das Dorf Lidice am 10. Juni 1942 zerstört, alle männlichen Bewohner erschossen, die Frauen und Kinder wurden in Konzentrationslager gesteckt.  Das alles geschah, weil man dort die Täter vermutete. Einige der wenigen Überlebenden dieser unbeschreiblichen Gräueltat zogen als Ausdruck ihres Widerstandes Jahre später in die Nähe ihres ehemaligen Dorfes und gründeten dort die neue Gemeinde „Lidice“.

Später an diesem Tag fuhren wird noch nach Prag um uns dort das jüdische Viertel anzusehen. Die Pinkas-Synagoge, mittlerweile eine prachtvolle Gedenkstätte mit 80.000 Namen umgekommener Juden an den Wänden, besaß im oberen Stockwerk eine Ausstellung mit Bildern, die von jüdischen Kindern gemalt wurden. Sie handelten von Hoffnung, von Wünschen und von der Realität. Von der Realität, welche diese Kinder als die ihre ansehen mussten. Es war erstaunlich zu sehen, wie sich die Kinder das Paradies vorstellten. Diese Bilder befanden sich unter der Überschrift „Dreams of Paradise“.

Eine beeindruckende und traumatische Geschichte erfuhren wir am 4. Tag von einer Zeitzeugin, Dagmar Lieblová. Die 83-Jährige Tschechin erzählte uns von ihrer Zeit in Theresienstadt, welche sie persönlich als die „schönste“ Zeit während des Holocausts bezeichnet. Später verbrachte sie 8 Monate in Auschwitz, wo ihre gesamte Familie ums Leben kam. Sie erzählte uns, dass sie es nur ein einziges Mal in ihrem Leben geschafft hatte, an diesen Ort zurückzukehren. Doch nun werde sie es nie wieder tun. Diese Frau und vor allem die Art, wie sie erzählte, rührten manch einen zu Tränen. Etwas Schlimmeres kann einem kaum wiederfahren, dachten wir uns.

Theresienstadt oder „die Judenstadt“ sollte der Menscheit anhand von Propagandafilmen und monatelangen Säuberungen der Stadt sowie außerwählten jüdischen Schauspielern weismachen, was mit den Juden in der Zeit, in der Hitler an der Macht war, geschah. Es schien ihnen gut zu gehen, besser als manch anderen „Nicht-Juden“. Doch wir wissen, dass dem nicht so war. Die Zeit in Theresienstadt hat viele von uns beeinflusst, wenn nicht sogar geprägt. Wir waren zwar nicht lange dort, allerdings hat es uns gereicht, um einen Eindruck zu gewinnen, einen Eindruck von unserer Geschichte. Obgleich die Erfahrungen, die wir gemacht haben, erschütternd waren, so sind es dennoch Erfahrungen.  Und Erfahrungen sind dazu da, um uns in unserem Denken zu beeinflussen.

Auf dass nie wieder etwas Derartiges geschehen wird.

Leonie Au, Leistungskurs Geschichte

 

Im Rahmen der Seminarreihe „Stätten deutscher Geschichte“ besuchten Schülerinnen und Schüler der Rheingauschule (Geisenheim), der Montessori-Gemeinschaftsschule (Berlin) und der Gesamtschule am Gluckenstein (Bad Homburg) vom 2. bis 6. Mai das ehemalige jüdische Ghetto Theresienstadt bzw. die heutige Gemeinde Terezín in Tschechien.Theresienstadt

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