Die Weimarer Republik zählt zum Pflichtprogramm in der Oberstufe. Was in dieser Zeit in Deutschland so los war, lernt jeder Schüler. Der Leistungskurs Geschichte des Rheingaugymnasiums von Gerhard Honekamp nähert sich dem Thema mal auf eine ganz andere Weise. Mit Hilfe des Oestrich-Winkeler Stadtarchivars Jürgen Eisenbach erforschen die jungen Damen und Herren, die nächstes Jahr Abitur machen, was in Oestrich-Winkel in dieser Zeit so los war. Beim ersten Treffen im Stadtarchiv in der Rieslingstraße in Mittelheim verrät Eisenbach schon mal so viel: Inflation, Wohnungsnot, hohe Arbeitslosigkeit und vieles andere, was mit der Weimarer Republik verbunden wird, findet sich auch in den Dokumenten, die der Stadtarchivar für die Schüler schon mal zusammengetragen hat. Rechnungsbücher zum Beispiel, eine Postzustellung für vier Millionen Reichsmark oder den Fall eines Lehrers, der gar nicht damit einverstanden ist, dass in seiner Schule eine Familie einquartiert wird.
Schüler bilden sechs Arbeitsteams In sechs Arbeitsteams mit jeweils einem Schwerpunkt wollen sich die zwölf Schüler nun durch die Aktenberge wühlen. Ihre Ergebnisse werden sie in einer Ausstellung präsentieren. Aber bis dahin werden wohl noch viele Seiten Papier umgeblättert. Eisenbach, der einzige hauptamtliche Stadtarchivar im Rheingau, allerdings nur mit einer halben Stelle, hat schon mal eine Vorauswahl getroffen. „Das ist aber noch viel zu viel, da muss noch gesiebt werden“, weiß er. Bei der Vorbereitung einer Ausstellung sei es die große Kunst, sich auf das Wesentliche zu beschränken.
Den ersten Tag hat Lehrer Honekamp deshalb auch erst mal zum Sichten angesetzt. „Was ziehen wir in die engere Wahl, was können wir leihweise mitnehmen, sind die Fragen, die zuallererst zu klären sind“, sagt er. Die eigentliche Arbeit mit dem Material will er in die Schule verlegen, wo mehr Platz ist als in Eisenbachs Archiv, in dem jede Ablagemöglichkeit genutzt wird, auch die Fensterbänke. Aber spätestens wenn die Schüler die handschriftlichen Aufzeichnungen, die es auch gibt, nicht entziffern können, wird er wieder gefragt sein, ist sich Eisenbach sicher.
Der erste Stadtrat Werner Fladung hat das Schulprojekt angeleiert. Hintergrund war ein von der Stadtverordnetenversammlung beschlossener Antrag der Grünen, das Stadtarchiv der Öffentlichkeit mehr zu öffnen. Ein Anliegen, das auch Fladung am Herzen liegt. Ihm schwebt ein Arbeitskreis von interessierten Bürgern vor, die sich regelmäßig im Stadtarchiv treffen.
In absehbarer Zeit steht dem Stadtarchivar allerdings erst einmal der vierte Umzug bevor. Noch ist nicht alles in trockenen Tüchern. Angedacht sei aber, das Stadtarchiv, das wegen der Erweiterung der Kita ausziehen muss, bei den Maltesern in Winkel unterzubringen, gemeinsam mit den Akten des Verwaltungsarchivs. Der Stadtarchivar ist mäßig begeistert. „Ein Umzug“, sagt er, „wirkt immer Jahre nach.“ Dafür habe er in Zukunft aber mehr Platz, tröstet Fladung.
Wiesbadener Kurier vom 2.6.2017
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