Die Schülerinnen und Schüler, die im Rheingau Atrium gespannt den Schilderungen von Alexander Gerst folgen, haben noch einige Jahre Zeit: Frühestens im Alter von 27 Jahren können sie Astronaut werden. Wenn sie es wollen, dann sollten sie an diesem Ziel festhalten und sich nicht von ihrem Traum abbringen lassen, appellierte der Astronaut der Europäischen Weltraumorganisation ESA an rund 400 Jugendliche der drei Geisenheimer Gymnasien. „Wir brauchen eure Ideen“, warb der Geophysiker um die künftigen Ingenieure und Wissenschaftler. Die Astronauten brauchen Nachwuchs.
Als der Mann im leuchtend blauen Overall mit den schwarz-rot-goldenen Streifen am Arm den Saal betritt, empfängt ihn überschwänglicher Applaus. Am Ende seines Vortrags drängen sich die Jugendlichen vor, um ein Autogramm zu ergattern und ein Selfie mit dem Weltraumfahrer zu knipsen. Der Mann, der die Erde als winzigkleinen blauen Punkt beobachtete, nach dem seine „Blue Dot“-Mission benannt ist, war im vergangenen Jahr 166 Tage an Bord der Internationalen Raumstation ISS mit rund 100 wissenschaftlichen Experimenten befasst. Eindrucksvoll schildert er, wie er von oben erkannt hat, dass die Menschheit dabei ist, ihre Lebensgrundlagen zu zerstören und die Erde zugrunde zu richten. Als Beispiel nennt er die abgeholzten Wälder am Amazonas. Weiter gibt er zu bedenken: Die Atmosphäre der Erde sei von oben gesehen nicht mehr als ein Hauch.
Bis 2020 gesichert Die Weltraumstation ISS bezeichnet Volker Schmid vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt als größtes Kooperationsprojekt der Menschheit. Der promovierte Geophysiker Gerst war der elfte Deutsche im All. Ende Mai 2014 flog er mit einem russischen und amerikanischen Kollegen in einem Sojus-Raumschiff mit 300 Tonnen Treibstoff und 26 Millionen PS zur ISS. Er war unter mehr als 8.000 Bewerbern ausgewählt worden. Welche Voraussetzungen er dafür mitbringen musste, wollen Christian von der St. Ursula-Schule und Georg von der Rheingauschule wissen. Es gehe nicht um ein Spezialfachgebiet, so Gerst. Man müsse über viele Gebiete viel wissen, wissenschaftlich und im Team arbeiten sowie gut lernen können. Weshalb gerade er ausgewählt wurde, sei ihm nie gesagt worden. Er vermutet, dass ein Grund dafür war, dass er die Antarktis und Vulkane erforschte und gezeigt habe, dass er unter schwierigen Bedingungen arbeiten könne.
Wie es mit dem ISS-Projekt weitergehe, fragte Max von der Internatsschule Hansenberg. Es sei bis zum Jahr 2020 gesichert, erklärt Klaus-Peter Willsch. Der CDU-Bundestagsabgeordnete ist Vorsitzender der Parlamentsgruppe Luft- und Raumfahrt und hatte Gerst nach Geisenheim und Taunusstein eingeladen.
Samstags wird in der Raumstation geputzt Die Schüler fragen weniger nach den wissenschaftlichen Experimenten als nach praktischen Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord der ISS. Er habe zwar zwischen 150 Essenskompenenten wählen können, berichtet Gerst. Aber auf der Erde habe er sich doch wieder auf Salat gefreut. Auch in einer Raumfahrtstation ist Putzen angesagt, Putztag war immer samstagvormittags. Die Toilette funktioniert mit einem Luftzug, der die Gravitation ersetzt. Es kommt vor, dass Gegenstände einfach wegschweben und dass ein Astronaut nach einigen Wochen seine Trinkflasche oder einen Löffel zufällig wieder finde. 20 Minuten habe er sich täglich reserviert, um auf die Erde zu schauen, erzählt Gerst. „Aber man hat nicht viel Zeit, sondern muss sofort mit Experimenten anfangen.“
Der Astronaut versteht es, den Jugendlichen seine Begeisterung für die Erforschung des Weltraums zu vermitteln. Er zeigt ein Bild der Milchstraße und verweist auf die wissenschaftliche Erkenntnis, dass es mehr Sterne im Universum als Sandkörner auf der Erde gebe. „Die Raumfahrt steht gerade erst am Anfang.“
Wiesbadener Kurier vom 29.4.2015
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