Ex-DDR-Spitzensportlerin Ines Geipel zu Gast in der Rheingauschule.
Ines Geipel ist ein Sternchen. Die ehemalige Weltklassesprinterin aus der DDR gab 2005 ihren Vereins-Weltrekord über 4 x 100 Meter von 1984 zurück. Freiwillig. Weil sie gedopt war. Seitdem ist anstelle ihres Namens ein Sternchen in der Rekordliste vermerkt. Neben den Namen der drei anderen Athletinnen, die sich weiterhin Rekordhalterin nennen.
Was die Zuhörer zunächst fast schmunzeln lässt, ist nur ein Teil ihrer Geschichte. Die 54-Jährige ist zu Gast bei der Jahrgangsstufe zwölf der Rheingauschule, um von ihrem Leben in der DDR zu erzählen. Als Spitzensportlerin. Als Tochter eines hochrangigen Stasi-Spitzels. Und als Opfer des Systems. „Groß zu werden in einem Land, in dem es kein Paris, kein London, keine USA gibt – das ist heute kaum vorstellbar“, sagt Geipel. Auch sie, die im Alter von 14 Jahren in ein Internat gesteckt wurde, wusste lange Zeit nicht, was sich hinter der Mauer verbirgt. Dass es überhaupt eine Mauer in diesem Sinne gibt. Erst durch den Sport habe sie entdecken können, wie die Realität wirklich aussieht. „Ich musste lernen, dass es in der Welt viele andere Ideen gibt, ich musste rauskommen aus der Ideologie.“
Im August 1989, kurz vor dem Fall der Mauer, hält sie es in der DDR nicht mehr aus, flüchtet über Ungarn in den Westen. Erst mit den Jahren realisiert die gebürtige Dresdnerin, was ihr eigentlich widerfahren ist. In ihrer Stasi-Akte liest sie später, dass sie mit einer aus medizinischer Sicht nicht notwendigen Bauch-Operation „aufs Eis gelegt werden sollte“. Der Eingriff hat zur Folge, dass sie nie Kinder bekommen konnte. Einer Schülerin entfährt ein fassungsloses „Was?“, als sie davon erzählt.
Liebesleben dokumentiert An mancher Stelle sorgt die Geschichte der Frau, die heute in Berlin lebt, aber auch für heitere Momente. In ihrer Akte ist vermerkt, dass sie sich während der Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 1984 in einen Lateinamerikaner verliebt hatte. Das passte den Offiziellen aber nicht. „Da wollten sie dann jemanden in der DDR finden, der so aussah wie der Mann, in den ich mich verliebt habe.“
Seit Jahren setzt sich die Professorin für Verssprache und Schriftstellerin mit dem Leben in der DDR auseinander, so auch in ihrem aktuellen Buch „Generation Mauer – Ein Porträt“. Für ihre Familie, allesamt Anhänger des kommunistischen Systems, sei sie die Böse, wie sie auf Nachfrage einer Schülerin erzählt. „Die Sache ist eindeutig.“
Dass sie Teil des vom Staat organisierten Dopings war und als Sportlerin steroidhaltige Tabletten genommen hat, macht sie heute zu einer „Fanatikerin der Aufklärung“, wie sie sich selbst nennt. 2000 war sie Nebenklägerin im Prozess gegen die Drahtzieher des DDR-Zwangsdopings und ist Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe.
Das Thema Doping im Sport sei noch lange nicht ausgeräumt. „Wir alle haben im Sommer bei der Fußballweltmeisterschaft gejubelt. Aber wer hat sich die Frage gestellt, wie es dazu gekommen ist? Wie gehen wir heute mit den Erfolgen im deutschen Sport um?“ Dafür sei man einfach zu verliebt in den Erfolg. „Und es ist uns nicht gelungen, uns von der schweren Hypothek des DDR-Sports freizumachen.“
Geipel hätte sich gewünscht, dass andere ehemalige Spitzensportler ihrem Beispiel folgen, sich von ihren Titeln unter dem Zwangsdoping zu distanzieren. Und damit eine Milchstraße zu bauen, damit sie nicht das einzige Sternchen bleibt. „Es ist ganz schön, ein Sternchen zu sein. Aber so kommen wir nicht weiter.“
Wiesbadener Kurier vom13.12.2014
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