„Aus den offenen Wunden fließt jetzt roter Wein, nur, die schon verblutet, können nicht verzeih’n ... sich nicht besaufen an Vergesslichkeit“, besingt Stephan Krawczyk die Schönfärberei, die seiner Meinung nach immer noch im Umgang mit der DDR-Vergangenheit zu beobachten sei. Die 150 Oberstufenschüler im Rheingaugymnasium lauschen dem Autor und Liedermacher konzentriert. Wie stark sie der Themenkomplex Freiheit, Unrechtsregime und Mauerfall interessiert, beweisen ihre Fragen an den Diktaturgegner, der 1988 aus der DDR gewiesen wurde. Krawczyk kam extra aus Berlin, um mit einer Schüler- und einer Abendveranstaltung dazu beizutragen, dass sich die Menschen für die DDR-Geschichte interessieren“.
„Authentischer Zeitzeuge“
Der Besuch des „authentischen Zeitzeugen“ war der früheren Rheingauschülerin Cornelia Holtmann zu verdanken, so Schulleiter Karl-Heinz Drollinger. Sie leitet das Regionalbüro der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Karl-Herrmann-Flach-Stiftung in Wiesbaden und holte den Mittfünfziger nach Geisenheim. Kernaufgabe der Stiftung in Deutschland und rund 60 Projektländern „ist die Vermittlung des Themas Freiheit“, erklärte Holtmann. Das passe gut zu der Schule, die „in ihrer über 160-jährigen Geschichte der Freiheit und insbesondere der Gedankenfreiheit stets verbunden war“, sagte Drollinger. Krawczyk zeige in Gesprächen und Liedern, dass „die Vergangenheit unsere Gegenwart prägt“. Denn die „Erinnerung an das zu Unrecht Geschehene“ zum 50. Jahrestag des Mauerbaus sollte „als Mahnung und Warnung dienen, wie kostbar die Freiheit ist“.
Krawczyk, der nach dem Abitur Konzertgitarre in Weimar studierte, trat 1985 aus der SED aus und erhielt wegen kritischer Texte Berufsverbot. Im Februar 1988 wurde er nach zwei Wochen Isolationshaft mit seiner Frau, der Regisseurin Freya Klier, abgeschoben.
Im Zentrum des Vormittags stand Krawczyks 1981 geschriebene Erzählung „Mein bester Freund wohnt auf der anderen Seite“. In der Lesung schilderte der Autor, wie der Westberliner Simon beim Ausflug nach Ostberlin Ronald kennenlernt und welche Konsequenzen die Freundschaft für die beiden 17-Jährigen hat. Am besten könne man „Geschichte über das Erzählen persönlicher Schicksale vermitteln“, erklärte Krawczyk. Zum Gitarrenspiel thematisierte er in „Hundeliebe“ die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen.
„Sehr anstrengend“ seien für ihn „die drei Jahre Berufsverbot“ gewesen. „Wenn ich Auto fuhr, hatte ich die Stasi hinter mir, meine Post wurde abgefangen und mein Telefon abgehört.“ Neben seinen Berichten von der damaligen Zeit und Repressalien für fast alle Bürger wie dem Reiseverbot zeigte er immer wieder auf, wie die Vergangenheit weiterwirkt: „Die, die das System auf dem Gewissen haben, leben noch“, betonte Krawczyk. An die Adresse von Die Linke und SPD gerichtet, erklärte er, dass SED- und Stasi-Mitglieder auch geschickt in der Demokratie agieren und riet den Jugendlichen: „Verfolgt die Nähe der Parteien!“ Froh darüber, dass „diese Schule anregt, sich mit der Vergangenheit zu befassen“, und dass es so vielen Gymnasiasten wichtig war, sich „der Freiheit und Demokratie zu versichern“, gab Krawczyk den Rheingauschülern ein Motto mit auf den Weg: „Je unabhängiger, desto besser, denn je unabhängiger desto freier.“