Ute Franke berichtet von ihrer Zeit als politischer Häftling in der DDR.
„Wie überlebt man so was? Ich stelle mir das total grauenvoll vor“, fragte eine Abiturientin in der Aula der Rheingauschule. Auch alle anderen 74 Mädchen und Jungen aus dem Leistungskurs und drei Grundkursen Geschichte ließ schaudern, was Zeitzeugin Uta Franke von ihrer Verhaftung, Verurteilung und zweijährigen Haft in der DDR erzählte. Die Jugendlichen hatten dazu so viele Detailfragen, dass sie den Zeitrahmen des Projektvormittages „Feind war, wer anders dachte“ sprengten und freiwillig länger blieben.
Da sich alle bereits im Unterricht und während der Weihnachtsferien mit der DDR beschäftigt hatten, startete der Tag mit einer kurzen Einführung und Gruppenarbeiten. Danach zeigte Franke den Dokumentarfilm, den ihre Tochter Dörte und deren Freund über sie, ihre Freunde und die Ereignisse damals gedreht hatten. In ihm berichtete die gelernte Schriftsetzerin, die heute in Köln das Gedenkprojekt „Stolpersteine“ koordiniert, mit ihren neun Freundinnen und Freunden der Gruppe meist an Originalschauplätzen. Vor allem die Bilder von der U-Haft in Leipzig und der Frauenhaftanstalt Hoheneck im Erzgebirge erschütterten die Oberstufenschüler.
„1955 in Leipzig geboren habe ich dort bis zu meiner Verhaftung im September 1979 gelebt“, erzählte Franke im Gespräch mit den Jugendlichen. Nach fast einem Jahr in U-Haft „wurden wir alle zehn wegen staatsfeindlicher Hetze zu anderthalb bis siebeneinhalb Jahren verurteilt, ich zu zwei Jahren und vier Monaten“.
Dabei habe der Freundeskreis lediglich politische Diskussionsrunden veranstaltet und ein Flugblatt mit systemkritischen Inhalt gedruckt, das nie verteilt worden sei, sagt Franke. Ein Teil der Gruppe hatte dazu am Leipziger Völkerschlachtdenkmal mit schon am nächsten Morgen wieder entfernter weißer Farbe „Freiheit“ für einen politischen Häftling gefordert.
Franke saß „nur“ zwei Jahre ab, da sie, wie vor und nach ihr zigtausende andere politische Häftlinge des DDR-Regimes, freigekauft und vom Gefängnis über die Grenze gefahren wurde. Wie die meisten der Freunde ließ sie sich in Köln nieder. Kurz darauf durfte ihr die damals sechsjährige Dörte folgen. Franke beantwortete alle Fragen der Schüler, schilderte die „psychologisch geschickten Verhöre“, ihre Panik in der Haft, ihre Erleichterung über das „milde“ Urteil. Sie erzählte, wie sich Bekannte bis hin zur eigenen Mutter aus Angst vor den Folgen von ihr distanzierten, wie sie die Trennung von der Tochter verkraftete und wie ihr die zehn Mitgefangenen, zumeist Mörderinnen, im Gefängnis halfen, sich nicht aufzugeben.
Vehement wies Franke aber den Vergleich der DDR mit dem NS-Regime zurück. „Ich würde nie sagen: Die DDR war ein KZ.“ Die Zeitzeugin wies auch darauf hin, dass die SED-Funktionäre von damals weiter aktiv sind. „Der größte Teil der Mitglieder der Partei Die Linke kommt aus der PDS, der Nachfolgepartei der SED.“
Wie engagiert die Schüler`und Schülerinnen mit Franke diskutierten, freute Schulleiter Karl-Heinz Drollinger und Geschichtslehrer Martin Schunk. Der Tag machte allen klar, „dass die Freiheit, die wir haben, immer wieder neu erkämpft werden muss“, unterstützte Drollinger das Projekt. Organisiert hatte es Schunk, der in der DDR aufwuchs, in Jena studierte und 2005 an die Rheingauschule kam. Hilfe bekam er von den Grundkursleitern und der Landeszentrale für politische Bildung. „Die DDR ist zwar in der Oberstufe ein wichtiges Thema, kommt aber sonst immer zu kurz“, meinte Schunk.
Wiesbadener Tagblatt vom 19.1.2011
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