Geisenheimer Rheingauschule führt das Stück „Frühlings Erwachen“ von Frank Wedekind auf.
Die Aufgabe scheint in unserer aufgeklärten Gesellschaft leicht zu sein: Die Theatergruppe „Peripetia“ der Geisenheimer Rheingauschule führt das Stück „Frühlings Erwachen“ nach Frank Wedekind auf. Ein klassischer Unterrichtsstoff, den schon Generationen von Jugendlichen durchgearbeitet und sich mit den Hauptfiguren identifiziert haben. Das Stück von Schülern für Schüler auf die Bühne zu bringen, ist jedoch eine ganz andere Herausforderung. „Es gibt viele Grenzen, die überschritten werden müssen“, sagt Michaela Hagen, Leiterin der Theatergruppe. Erste sexuelle Erfahrungen, Schulversagen, Suizid, Abtreibung - anders als zu Wedekinds Zeiten ist das Theaterstück heute kein Skandal mehr, „aber die Pubertät als Konfliktfeld mit sich selbst und mit den Erwachsenen ist bis heute noch da“.
Letztendlich sei alles eine Frage der Vertrauensbildung, sagt Michaela Hagen. Das Vertrauen der Schüler untereinander, aber auch zu der neuen Leiterin der Theatergruppe musste erst wachsen. Vor einem Jahr hat Hagen die Gruppe von Christine Diez übernommen und von Musik- auf Sprechtheater umgestellt. „Die Theatertradition an dieser Schule ist wirklich ein Traum“, sagt die Deutsch- und Französischlehrerin mit Leidenschaft für darstellende Kunst. Die Arbeit von Christine Diez hätten Schüler und Schule in 30 Jahren geprägt und ein paar „alte Hasen“ seien jetzt auch im neuen Oberstufentheater „Peripetia“ dabei.
Die meisten sind jedoch, wie die Leiterin selbst, neu in der Gruppe und mussten erst zueinander finden. Christian Proch spielt Melchior Gabor, eine der Hauptfiguren. „Dafür, dass ich beim ersten Treffen nur Pizza liefern sollte ist das doch gar nicht schlecht“, sagt der 18-Jährige. An Musiktheater hätte er sich nicht versuchen wollen, aber auch die Rolle des Melchior sei ihm nicht immer leicht gefallen. Speziell die Verführungs- und Gewaltszene mit seiner Partnerin Christina Schultz bereiteten dem Schüler anfangs Probleme: „Dabei wirklich Emotionen reinzubringen und das Ganze glaubwürdig erscheinen zu lassen, hat schon eine Zeit gedauert.“
Michaela Hagen hat bereits an der Oranienschule in Wiesbaden Schauspiel unterrichtet und kennt die Berührungsängste der Schüler. Gerade bei einem Stück mit einer Fülle emotionaler Themen seien deshalb Einzelstunden besonders wichtig. Anfangs beschränkte sich Hagen auf die Stimmbildung der Schüler, „später haben wir uns im geschützten Bereich der Einzelproben an die Szenen herangetastet“.
Mit der Routine kam die Improvisation. Seit Januar haben die Schüler mit dem Text gearbeitet, erzählt Hagen. Mit umgeschriebenen Szenen und Dialogen hat die Theatergruppe ihr ganz persönliches Stück aus Wedekinds Werk herausgearbeitet. „Es ist sehr wichtig, dass wirklich jeder die Änderungen mitträgt“, sagt die Lehrerin, „nur dadurch wird es authentisch.“ Von der Leistung ihrer Schüler ist Michaela Hagen mehr als beeindruckt. Wenn die Lehrerin an die ersten Unterrichtsstunden zurückdenke, ließe sich eine deutliche Persönlichkeitsentwicklung feststellen. „In den letzten drei Wochen intensiver Probe, konnte man praktisch zugucken“, staunt Hagen. Die eigene Stimme und die Körpersprache richtig einsetzen zu können, sei schließlich nicht nur auf einer Bühne wichtig, sondern helfe ein ganzes Leben lang.
Wiesbadener Tagblatt vom 16.9.2010
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