Salomon Perel besucht Eltviller und Geisenheimer Gymnasium.
„Jeder demokratisch gesinnte Jugendliche ist verpflichtet, alles zu tun, damit sich so was auf deutschem Boden nicht wiederholen kann.“ Dazu forderte Salomon „Sally“ Perel alias Hitlerjunge Josef „Jupp“ Perjell die Oberstufenschüler am Gymnasium Eltville auf und danach die an der Rheingauschule in Geisenheim. Für diesen Appell unternimmt der einzige Jude, der den Holocaust als Hitlerjunge überlebte und seit 62 Jahren in Israel lebt, jedes Jahr zwei bis drei mehrwöchige Lesereisen durch Deutschland. Jetzt kam der 85-Jährige, dessen Autobiografie mit dem Titel „Hitlerjunge Salomon“ verfilmt und preisgekrönt wurde, erstmals in den Rheingau.
„Auschwitz wird uns ewig verfolgen“, erklärte Perel den Jugendlichen im Atrium des Eltviller Gymnasiums. Die Schüler lauschten aufmerksam, zumal Perel nicht vorlas, sondern frei erzählte. Er analysierte sein Überleben kritisch und offenbarte bis heute tief sitzende Zweifel. Dabei ordnete er sein Schicksal genau in die historischen und gesellschaftlichen Ereignisse ein.
1925 in Peine geboren, erlebte Perel „dort zehn sehr glückliche Kinderjahre - ohne Handy, Pokemon und Fernseher“, bevor er mit den Eltern und beiden Geschwistern aus dem NS-Reich nach Lodz in Polen floh. Am eigenen Beispiel schilderte Perel, wie Indoktrination zu Irrtum und Hass als Basis für Verbrechen führen können.
Um den 14-Jährigen vor dem sicheren Tod im Ghetto zu bewahren, schickten ihn die Eltern auf die Flucht. „Sally, vergiss nie, wer du bist!“, habe der Vater gebeten. Die Mutter gab ihm mit auf den von Leichen gesäumten Weg: „Du sollst leben!“ Zwei Jahre gelang ihm das bis 1941 in einem sowjetischen Kinderheim, bis die Deutschen Minsk erreichten. Als der 16-Jährige sah, wie sie jüdische Kinder vor ihm in der Warteschlange erschossen, vergrub er seine Ausweise und rettete sich durch die Behauptung: „Ich bin Volksdeutscher.“
„Ich ahnte nicht, dass mich diese Lüge in wenigen Monaten zum begeisterten Hitlerjungen machen würde.“ Perel schilderte seine Angst vor der Entlarvung so anschaulich wie seine Begeisterung für die Naziideologie. „Wir in der Hitlerjugend wurden zum Hass erzogen“, sagt er, „alles klang so logisch, so bewiesen.“ Er habe sich sogar über die Siege der Wehrmacht gefreut, auf den „Endsieg“ gehofft und nur die „Ausrottung der jüdischen Rasse“ abgelehnt. „Denn ich wusste: Ich bin doch kein Satan.“
Den Oberstufenschülern berichtete Perel auch von den sexuellen Übergriffen eines Sanitätsunteroffiziers, die der Film für die Freigabe ab zwölf Jahren ausklammerte. „Ich überlebte vier Jahre lang unter den Nazis versteckt - für mich waren das vier Ewigkeiten.“
Bis heute führe er „ein Doppelleben“, da sich Sally und Jupp in ihm ständig miteinander im Dialog und Konflikt befänden. Das für ihn Schrecklichste sei das Wissen, „dass die Nazis keine Monster, sondern als ganz normale Menschen und getaufte Christen zu solchen Taten fähig waren“, während die christliche Nächstenliebe im nationalsozialistischen Deutschland vollständig versagte.
Mit der Erinnerung an die 55 Millionen Toten, die der geschürte Hass im Dritten Reich erzeugte und den hasserfüllten Parolen und Aufmärschen der Neonnazis heute appellierte Perel immer wieder eindringlich an die Schüler, „gegen die braune Gefahr“ zusammenzuhalten.
Wiesbadener Kurier vom 23.6.2010
Fotos: RGS
|