Zeitzeugengespräch mit Lilo Günzler in der 9b Drucken
Geschrieben von: Paula Jansen / Sarah Di Pace   
Freitag, den 18. März 2016 um 10:34 Uhr

Am 02.03. hatten wir, die Klasse 9b der Rheingauschule Geisenheim ein Zeitzeugengespräch mit Frau Günzler. Wir sind in der Pause im Klassenzimmer geblieben, um alles aufzubauen und waren schon sehr gespannt auf Frau Günzler (Autorin des Buches "Endlich reden") und ihre Geschichte. Sie kam in Begleitung von Frau Wagner-Bona, eine Mitarbeiterin des jüdischen Museums Wiesbaden, die uns in Frau Günzlers Leben einführte.

Lilo Günzler hat eine Jüdin zur Mutter und einen "Arier" als Vater und ist somit "Halbjüdin", außerdem hat sie einen Halbbruder namens Helmut, aus erster Ehe der Mutter, der ebenfalls Jude ist. Nach dieser Einführung hat Lilo uns aus ihrem Buch vorgelesen, von dem Tag, an dem die Synagoge in Frankfurt brannte und ihre "unbeschwerte Kindheit vorbei war". Von nun an wurde sie als "Mischling 1. Grades" von Schulveranstaltungen ausgeschlossen und musste darauf achten, was sie sagte, was dazu führte, dass sie aus Angst etwas Falsches zu sagen immer stiller wurde. Sie sah, wie immer mehr Juden an der Synagoge zum "Transport" abgeholt wurden und ihr Bruder mit anderen jüdischen Kindern in ein jüdisches Kinderheim umziehen musste. Als für die Kinder aus dem Kinderheim der Transportschein kam, hat Lilos Vater es jedoch geschafft Helmut wieder nach Hause zu holen. Frau Günzler wurde gezwungen mit ihrer Familie in die "Judengasse" zu ziehen. Nach mehreren Bombenanschlägen haben die Günzlers die Judengasse allerdings wieder verlassen und sind in ein menschenleeres Wohnviertel gezogen, in dem Lilo und ihr Bruder eine kleine Schwester bekamen. Dort lebten sie, nun zu fünft, bis Lilos Mutter und Helmut einen Brief mit dem Termin ihres geplanten Abtransports erhielten. Die Familie wurde also nach langer Zeit und so vielen Bemühung trotzdem getrennt. Sie versuchten, irgendeine Lösung zu finden, doch um irgendetwas umsetzen zu können, hatten sie keine Zeit mehr. Helmut und dessen Mutter wurden am 14.02.1945, mit den letzten Juden aus Frankfurt mit einem Zug weggebracht. Frau Günzler wurde mitgenommen zum Abschied und musste zusehen, wie ihre Mutter und ihr Halbbruder zusammengepfercht mit vielen anderen Juden in einen Wagon gequetscht wurden. Sie hörte die Menschen schreien und weinen und das Hämmern der Fäuste gegen die Waggons. Kurz bevor der Zug abfuhr, schrie Helmut: ''Wir kommen wieder!'', und das wollte die kleine Lilo gerne glauben. Als dies geschah, war Frau Günzler gerade einmal 12 Jahre alt. Ein wenig später musste auch der Vater Lilo verlassen, da er in das letzte Aufgebot, den Volkssturm einberufen wurde. Frau Günzler wurde zu Freunden gebracht, während ihre Schwester in ein katholisches Kinderheim gegeben wurde. Als sich die Lage in Frankfurt jedoch immer weiter zuspitzte und zu einer Hauptkriegszone wurde, beschlossen die Freunde aus der Stadt zu gehen. Lilo jedoch weigerte sich und blieb alleine zurück. Mit einem schmunzelnden Lächeln erzählte sie uns, dass sie doch nicht einfach aus ihrer Heimat fort konnte.günzler

Frau Günzler blieb also und war nun völlig alleine und auf sich gestellt. Sie erzählte uns, dass sie lediglich 3 rohe Kartoffeln bei sich hatte und wie sie sich in Kellern Unterschlupf suchte. Lilo hielt sich in einem Keller auf, bis ihr das Essen ausging und sie anfing, in anderen Kellern nach Essen zu suchen. Schließlich fand sie steinhartes Brot was sie mit Honig und Wasser einweichte. Mit einem traurigen lächeln meinte Frau Günzler zu uns: ''Das war das beste Brot, welches ich je gegessen habe.''

Nach ein paar Tagen schlug jemand heftig gegen die Haustür des Hauses, indem sie sich zu dieser Zeit befand und als sie sie öffnete, stand ein farbiger Mann vor ihr. ''Ich habe sofort geweint! Der Krieg ist aus! Ich wusste, dass ein Farbiger nicht zu den Deutschen gehören konnte.'' erzählte Lilo uns mit glänzenden Augen. Die Amerikaner nahmen sie mit und versorgten sie bis ihr Vater, zwei Tage vor Ostern mit zwei Weißkohlköpfen unter den Armen zurückkam. Seit dem isst sie, bis heute, Weißkohlsuppe zu Ostern, verkündete Frau Günzler uns stolz.

Auch die Mutter und ihr Halbbruder fanden, nach einer langen Reise von Prag aus, wieder zu ihnen. Dort wurden die beiden mit anderen Juden aus dem Konzentrationslager Theresienstadt befreit. Lilo beschrieb uns ihr Wiedersehen mit ihrer Mama und erzählte uns: ''Die Mama ist wieder da! Ihr wisst nicht, was für ein Gefühl das war. Ich durfte endlich wieder Kind sein.'' Sogar ihre kleine Schwester stieß wieder zu ihnen und die Familie war wieder vollständig. Die Familie beschloss mit der Sache abzuschließen. Der Vater stellte Helmut und Lilo nach Gründung des Staates Israel 1949 vor die Wahl nach Israel zu gehen oder in Deutschland zu bleiben und nie wieder über diese Zeit zu reden.

Frau Günzler und ihr Halbbruder entschieden sich zu bleiben. Tatsächlich schwieg Lilo 60 Jahre lang und nicht mal ihrem Mann, mit dem sie 33 Jahre verheiratet war und zwei Kinder hat, erzählte sie etwas. Sie baute sich ihr Leben auf, nahm aktiv an allem Teil und wurde beliebt in ihrem Ort. Seit einem Israelbesuch vor einigen Jahren redet Frau Günzler vor Schulklassen und erzählt ihre Geschichte. ''Für diese 1,5 Millionen Kinder, die gestorben sind, für die sitze ich hier, denn die können nicht mehr reden.''

Wir waren von ihrer Lebensgeschichte total mitgenommen. Zum Abschluss des Gesprächs konnten wir noch unsere Fragen stellen. Im Namen der ganzen Klasse möchten wir uns noch einmal bei Frau Günzler und Frau Wagner-Bona herzlich dafür bedanken, dass Sie uns dieses Gespräch ermöglichten.

Paula Jansen und Sarah Di Pace